2. Das Jugendamt

Schon im

 

„Zustandsbericht zur Lage im Familienrecht in Deutschland 2020/2021“

(Quelle: https://www.papa-mama-auch.de/zustandsbericht-familienrecht-in-d/)

 

hat der Sozialwissenschaftler Dr. Marc Serafin festgestellt, dass schon aus dem damals gesammelten Material deutlich wird, dass „eine relevante Gruppe der Trennungseltern und Großeltern, die Beratung und Hilfe bei den Institutionen der Jugendhilfe und bei den Familiengerichten suchen, tiefe defizitäre Erfahrungen mit der Jugendhilfe- und Familienrechtspraxis schildert“.

 

Er betonte damals schon „institutionelle Verantwortung“ und zeigte „Handlungsmöglichkeiten von Familienberatung, Jugendamt und Familiengericht“ auf. In Bezug insbesondere auf das Jugendamt betonte er zusammenfassend: „Elternverhalten und eine Familiendynamik, die Kinder und Eltern fortgesetzt einer schweren psychischen Belastung mit erheblichen negativen Folgewirkungen für die kindliche Entwicklung aussetzen, tragen allerdings deutliche Merkmale einer Gefährdung des Kindeswohls. Insofern steht die Jugendhilfe hier in der Pflicht, durch aktive Intervention – auch unter Rückgriff auf die Möglichkeit der Auflagenerteilung gemäß § 1666 BGB zur verpflichtenden Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung und Beratung - diese Gefährdung abzuwenden. Von der Jugendhilfe kann erwartet werden, dass sie im Fall drohender oder eingetretener Eltern-Kind-Entfremdung aktiver als sie dies bisher tut, eingreift und handelt.“ (Quelle: https://www.papa-mama-auch.de/zustandsbericht-familienrecht-in-d/vorworte/dr-marc-serafin/)

 

Die überwiegend auch in Berichten der uns vorliegenden Akten vorgefundenen Sätze und Beurteilungen des Jugendamtes sind sehr oft unzureichend, teilweise auch verfälschend und zeugen von einem lückenhaften Fachwissen. Oft nur eines, zumindest jedoch immer zu wenige Gespräche geben nicht den gebotenen Einblick in konflikthafte Trennungsfamilien. Insbesondere die sog. „asymmetrische“ Hochstrittigkeit wird so fast nie erkannt.

Was muss besser werden? Eine Auswahl wichtiger Notwendigkeiten:

  • Ein bis zwei Hausbesuche und Gespräche reichen oft nicht aus, um belastbaren Einblick in Trennungssysteme zu bekommen. Schon gar nicht bei einseitiger Strittigkeit, da diese erst nach gewisser Zeit erkannt wird. Umso mehr, wenn zu Beginn zu zurückhaltend agiert wird und „Zeit Fakten schafft“. 
  • Der Faktor „Zeit“ aus Sicht der Kinder muss mehr Beachtung finden. Auch sonst sind lange Bearbeitungszeiten, oft auch in Verbindung mit Personalwechsel, ein No-Go.
  • Insbesondere bei bereits erfolgtem Kontaktabbruch oder professionell nicht nachvollziehbarer Verweigerung von Kindern ist höchste Eile geboten!
  • Destruktive Elternpersonen müssen erkannt und identifiziert werden.
  • Sowohl das SGB VIII als auch BGB und FamFG erlauben weitergehendes Handeln der Jugendämter. Das wird so gut wie gar nicht genutzt. Wo Umgangsboykott zu Kontaktabbruch führt, kann und muss das Jugendamt aktiv werden. Mag die Mitwirkung der Eltern zu Beratungen oder Mediation „freiwillig“ sein, so kann das Jugendamt beispielsweise nach §157 FamFG (also unterhalb von § 1666 BGB) selbst einen Antrag beim Familiengericht einbringen. Schon die Drohung gerrichtlicher Anträge durch das Jugendamt könnte aber oft zur „Disziplinierung destruktiver Eltern“ ausreichen.
  • Verweigerung von Beratung und Lösungsversuchen müssen dem Gericht übermittelt werden. Gerade bei einseitiger Strittigkeit (auch aktives „Schweigen“ ist Verweigerung) ist ein „Die Eltern müssen an ihrer Kommunikation arbeiten“ im Gerichtsbericht unzureichend und macht einseitige Verweigerungen unsichtbar.
  • Jugendamts-Mitarbeitende in konflikthaften Trennungssituationen müssen besser geschult werden, um Ausgrenzung von Eltern oder destruktive Anteile früher zu erkennen. Ausgrenzende Eltern werden häufig nicht genug gefordert, während ausgegrenzte Elternteile sich ständig bemühen müssen und final häufig fälschlicherweise als „Aggressoren“ oder als „ungeduldig“ gebrandmarkt werden.
  • Eltern müssen auf Augenhöhe behandelt werden; gegebenenfalls muss die Augenhöhe wieder hergestellt werden. „Gefühle und Befindlichkeiten“ der einen Elternperson im Kontext zu „Verhalten und Pflichten“ der anderen Elternperson manifestieren eine 2-Klassen-Elternschaft. Beide Eltern sind zu fordern! Und zwar im besten objektiven Interesse der betroffenen Kinder. 
  • Sofern in gerichtlichen Verfahren die Familienberatungsstellen involviert sind, muss die (vorgerichtlich durchaus sinnvolle) Niedrigschwelligkeit der Beratungsstellen zumindest insoweit aufgehoben werden, dass destruktive Verhaltensmuster und Verweigerungen auch durch die Familienberatungsstellen deutlicher identifiziert werden können und dieses muss dann auch in gerichtliche Verfahren einfließen. Sogar die Verweigerung der Schweigepflichtentbindung durch eine der Elternpersonen kann in der Regel als fehlende Kooperationsbereitschaft gewertet werden. Aus den, in diesem Bericht analysierten Akten ist erkennbar, dass die Erkenntnisse und Einschätzungen der Familienberatungsstellen kaum bis gar nicht durch das Jugendamt in die Verfahren eingebracht werden, obwohl diese deutlich mehr mit den Eltern arbeiten, als es das Jugendamt macht.