Einordnungen & Kommentare von Experten

Matthias Bergmann

Matthias Bergmann, Hamburg

Rechtsanwalt, LL.M. (Auckland)

 

Mitglied des Deutschen Familiengerichtstages

Inhaber der Kanzlei Kind & Recht, Hamburg

 

https://www.anwalt-kindschaftsrecht.de

 


Qualität familiengerichtlicher Verfahren – Unklarheit als System?

Familiengerichtliche Verfahren im Sorgerecht und Umgangsrecht sind nicht öffentlich. Zu Recht. Es geht um existentielle Fragen und Schicksale von Kindern und diese höchst persönlichen Fragen besonders schutzwürdiger Betroffener sollten nicht in der Öffentlichkeit besprochen werden.

 

Gleichzeitig lässt sich aber auch feststellen, dass wir in kindschaftsrechtlichen Verfahren keinerlei Qualitätskontrolle haben. Erhebungen über die Qualität, Dauer, Auswirkungen und Erfolge kindschaftsrechtlicher Gerichtsverfahren gibt es so gut wie nicht. Den wenigen Erhebungen, welche es gibt, wird auf Justizseite mit erheblichem Unwillen begegnet. Folgeerhebungen scheint es nicht zu geben.

 

So wurden zum Beispiel in einer groß angelegten Erhebung zur Qualität familiengerichtlicher Gutachten der Fernuni Hagen massive Defizite gefunden (Quelle: https://www.fernuni-hagen.de/gesundheitspsychologie/forschung/qualitaetsstandarts-gutachten.shtml).

 

Geändert hat dies wenig. Zwar wurden in der Folge Mindeststandards für die Erhebung von familiengerichtlichen Gutachten an verschiedener Stelle erstellt (Quelle: https://www.rechtspsychologie-bdp.de/2019/09/16/qualitaetsstandards-gutachten-familienrecht/), der Verstoß gegen diese Mindeststandards hat im Verfahren aber eher selten relevante Folgen für die Verwertbarkeit des Gutachtens. Die durch die Universität Tübingen schon 2012 erhobene KIMISS-Studie (Quelle: https://www.kimiss.uni-tuebingen.de/de/2012studie.html) hat schon vor geraumer Zeit festgestellt, dass erhebliche Teile der betroffenen Eltern ihre Erfahrungen mit den Familiengerichten als willkürlich wahrnehmen und von Täuschungen, Falschbehauptungen und Beeinflussung durch Verfahrensbeteiligte berichten.

 

Aus der Sicht eines auf das Sorgerecht und Umgangsrecht spezialisierten und bundesweit tätigen Anwalts wäre es aber gefährlich und falsch diese Kritik so wenig ernst zu nehmen. Tatsächlich gibt es – neben unsachlichen und wenig nachvollziehbaren Beiträgen – durchaus gut belegte und systematische Probleme bei der Bearbeitung kindschaftsrechtlicher Verfahren. Diese Probleme zeigen sich zunächst in der mangelnden spezialisierten Ausbildung der mit der Problematik befassten juristischen Fachleute. Eine spezifische Fortbildungspflicht für Familienrichter gibt es nicht, schon gar nicht eine Pflicht zur interdisziplinären Fortbildung. Bei den Anwälten sieht es nur unwesentlich besser aus. In den Fachanwaltslehrgängen für Familienrecht sind von den 120 Theoriestunden nur wenige Stunden für eine oberflächliche Befassung dem Kindschaftsrecht gewidmet. Tatsächlich drückt sich diese mangelnde Relevanz des Kindschaftsrechts für viele Anwälte für Familienrecht auch darin aus, dass über mehrere Fachanwaltslehrgänge in meiner Kanzlei die Dozenten das Kindschaftsrecht als „Glücksspiel“ bezeichneten. Eine zwar anekdotische, aber doch nachdenklich machende Beobachtung.

 

Nahezu flächendeckend werden im Kindschaftsrecht die Anforderungen der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung ignoriert. Richter delegieren häufig nicht nur juristische Fragestellungen an Gutachter (zur Problematik: Bergmann, Der Beweisbeschluss im Kindschaftsverfahren, FamRB 2016, 364 ff.), sondern überlassen Gutachtern auch die Befragung aller möglicher Dritter. Selbst strittiger Vortrag von Dritten wird nur in seltenen Einzelfällen durch eine ordnungsgemäße Zeugenbefragung durch das Gericht beleuchtet. Statt unmittelbarer Zeugenbefragung nutzen viele Familiengerichte das Jugendamt als Ermittlungsbehörde des Gerichtes. Genauso werden Verfahrensbeistände als Ermittlungspersonen des Gerichtes genutzt. So kommt es dazu, dass Verfahrensbeistände von Gesprächen mit Kindergärtnerinnen, Lehrern und sonstigen Dritten berichten, ohne dass diese Personen durch das Gericht direkt angehört werden. Dabei geht der Hinweis, dass es auf diese Vorträge nicht angekommen sei, jedenfalls insofern fehl, als es sich um ein Verfahren handelt, in dem die Entscheidung nicht an sehr eindeutig belegbaren Punkten entschieden wird. Denn in schwierig zu entscheidenden Verfahren spielt die Gesamtschau der in das Verfahren eingebrachten Aspekte eine erhebliche Rolle. Daher wäre es auch geboten allen vorgebrachten Aussagen durch unmittelbare Sachermittlung des Gerichtes zu begegnen.

 

Schwierig ist auch der Umgang der Familiengerichtsbarkeit mit aufgeworfenen Verdachtsdiagnosen psychischer Erkrankungen. Häufig werden durch Jugendamt oder gar Gutachter psychische Krankheitsbilder in das Verfahren eingeführt, zum Beispiel genauso seltenen wie schwerwiegenden Krankheitsbilder wie Münchhausen-by-Proxy. Sobald dann durch die Betroffenen versucht wird, eine psychiatrische Überprüfung dieses Verdachts zu erreichen, verläuft dieses Thema im Verfahren im Nebulösen und bleibt als Verdacht ohne belegbare Folgen stehen.

 

Notwendig wäre bei der Einführung von Verdachtsdiagnosen (Münchhausen-by.proxy, narzisstische Persönlichkeitsstörung, Borderline etc.) eigentlich – auch zum Schutz der Kinder – eine zügige psychiatrische Klärung durch einen qualifizierten Psychiater. Leider findet diese nur selten statt.

 

Wirklich katastrophal muss aber die Frage des Umgangs der Familiengerichte mit der Frage von Gewalt und der Durchsetzung von Umgang beschrieben werden. Dem Vorwurf gewalttätigen Verhaltens sollten Familiengerichte mit erheblichem Aufklärungsaufwand und Nachdruck nachkommen. Leider bleibt es zu oft bei dem Hinweis, dass es sich um einen „typischen Rosenkrieg“ handele und man dem nicht nachgehen werde. Mit katastrophalen Folgen sowohl für gewaltbetroffene Elternteile und Kinder als auch für falsch beschuldigte Elternteile. Vollends unzureichend ist dann die Durchsetzung von Umgangsrechten. Ordnungsgelder werden nur schleppend verhängt, Umgangstitel nicht durchgesetzt, sondern bei Schwierigkeiten schnell abgeändert und verhängte Ordnungsgelder werden in der allgemeinen Zwangsvollstreckung erst mit erheblicher Zeitverzögerung eingezogen.

 

Eine umfassende Qualitäts- und Erfolgskontrolle mit bundesweiter und systematischer Datenerhebung wäre dringend geboten, um die rechtliche Qualität der Verfahren und ihre Erfolge für das Wohl der Kinder zu prüfen. Als Mindestschritt sollte sowohl bei Fachanwälten für Familienrecht als auch den Familienrichtern sicher gestellt werden, dass eine angemessene und interdisziplinäre Weiterbildung gerade im Kindschaftsrecht stattfindet.