Einordnungen & Kommentare von Experten

Dr. Charlotte Michel-Biegel

Dr. Charlotte Michel-Biegel, Nagold

 

Erziehungswissenschaftlerin

Diplom-Sozialarbeiterin

Gutachterin und Verfahrensbeiständin in Kindschaftsverfahren

Autorin: „Die Luft brennt“, Kern Verlag

Vorstand Papa Mama Auch - Verband für Getrennterziehen

Zu erreichen über: www.getrennt-erziehen.de


Hätte die Verfahrensbeistandschaft in den vorliegenden Fällen zu besseren Ergebnissen (gemessen am Kindeswohl) beitragen können? Falls Ja, mit welchen Maßnahmen?

  • In einem vorliegenden Fall wird den Verfahrensbeistandschaften vorgeworfen, „eine hohe Neigung zu einseitiger Elternsympathie“ gezeigt, und dabei „die objektiven Interessen des Kindes aus den Augen verloren zu haben.“

Tatsächlich ist es für jeden professionell Beteiligten leichter, mit Eltern zu reden, die dies auch können und wollen. Wenn ein Vater/eine Mutter schon grund-aggressiv ist; mich bedrängt, weil ich nicht ihre Position einnehme und meine Tätigkeit oder mich für völlig wertlos halten, fällt es schwer, „neutral“ zu bleiben. Aber ich muss es! Auch eine aggressiv auftretende Mutter oder ein manipulierender Vater ist hier in erster Linie Mutter oder Vater des Kindes. Die zu berücksichtigenden Fakten, Gefühle und das Wohl des Kindes stehen im Mittelpunkt. Auch wenn ich das beherrsche, ist es natürlich trotzdem nicht auszuschließen, dass Eltern aus Verletztheit, Angst o.a. Vorwürfe machen, sich übervorteilt fühlen. Muss ich ihnen wiederholt erklären, worum es hier geht? Ja, und ich muss mich immer wieder selbst reflektieren und neu denken. So ist auch die Intervention des Verfahrensbeistands angezeigt, wenn Eltern im Beisein des Kindes schlecht über den jeweils Anderen reden, und das Kind somit offen beeinflussen und ggf. in Konflikte treiben.

  • In vielen vorliegenden Fällen wird die lange Verfahrensdauer beklagt.

Selbstverständlich hat die Verfahrensbeistandschaft keinen Einfluss auf die Terminierung der Gerichtstermine. Aber sie hat die Möglichkeit, zu erkennen, wo möglicherweise eine frühe Intervention notwendig ist, wo hierzu mehr als ein Gespräch notwendig ist, wo ich vielleicht mit beiden Eltern reden muss, oder die Kinder auch in verschiedenen Settings antreffen sollte. Ich muss bei längerer Verfahrensdauer erkennen, wo sich eine ungute, schädliche Dynamik abzeichnet, und dies dem Gericht mitteilen.

  • Einige Fälle kranken an der fehlenden Kommunikation der Fachleute untereinander.

Oft sieht ein Kind ein umgangsberechtigtes Elternteil während Unklarheiten im Verfahren monatelang nicht, weil beauftragte Umgangsbegleitung, Beratungsstelle und Verfahrensbeistandschaft keinerlei Kontakt miteinander haben und Gespräche bis zur gerichtlichen Terminierung mit anderen ablehnen. RichterInnen verlangen nach Auftragserteilung für eine Umgangsbegleitung oder eine Beratungsstelle oft keine Nachweise oder Hinweise. Schriftliche Berichte erfolgen nicht; werden sogar aufgrund der „Niedrigschwelligkeit der Familienberatungsstellen“ gezielt vom Gericht verweigert. Oft würde hier ein Bericht oder eine Mitteilung detailliert Auskunft geben über blockierendes Verhalten oder einseitige Hochstrittigkeit der Elternpersonen, sodass ein deutlicheres Bild für eine Entscheidungsfindung vorliegt.

  • Ähnliches gilt für die Verfahrensbeistandschaft.

In einigen vorliegenden Fällen wird deutlich, dass dem Gericht naturgemäß erst einmal viele Fakten nicht zugänglich sind. Unter Umständen ist es aber wichtig, dass der/die RichterIn z.B. weiß, dass im Hintergrund eine liebevolle Herkunftsfamilie eines Elternteils eng mit dem Kind verbunden ist, dass ein Kind in der Schule zunehmend Probleme hat, dass es von seinen Vereinen abgemeldet wurde und sich seine sozialen Bezüge verengen, von wem ein Kind tatsächlich vom Kindergarten abgeholt wird, ob es tatsächlich krank ist, etc. Hochstrittige Eltern machen hier ja oft divergierende Aussagen, die ohne Verifizierung übernommen werden. Dabei setzt der Gesetzgeber die Verfahrensbeistandschaft eindeutig in die Lage, umfassend zu recherchieren, in der erweiterten Familie, in Kindergarten, Schule und Verein, beim Kinderarzt. Der Auftrag gem. §158 b spricht sogar von „…wird die weitere Aufgabe übertragen……und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen...“ Verfahrensbeistände haben dies also auftragsgemäß zu tun.

  • Mit der im Auftrag benannten Mitwirkung zu einer einvernehmlichen Regelung verhält es sich ebenso.

Die Verfahrensbeistandschaft hat also die Aufgabe, nach Ressourcen und Möglichkeiten zu fahnden, diese auf Umsetzbarkeit zu überprüfen und ggf. Vorschläge zu machen. Der Bericht an das Gericht ist keine Zustandsbeschreibung der Situation, sondern enthält idealerweise mitunter kreative Vorschläge und Optionen zur weiteren Vorgehensweise zum Wohle des Kindes.

 

Der Wirkungskreis umfasst die Wahrnehmung der Kindesinteressen im Verfahren gem. § 158 b FamFG. Dem Verfahrensbeistand wird die weitere Aufgabe übertragen, Gespräche mit den Eltern und weiteren Bezugspersonen des Kindes zu führen sowie an einer einvernehmlichen Regelung über den Verfahrensgegenstand mitzuwirken. (§ 158 b Abs. 2 FamFG)

 

Dr. Charlotte Michel-Biegel